
"Remember why you showed up"
… war der Satz, den uns Ralf fast gebetsmühlenartig immer wieder vorbetete. Du brauchst eine Antwort auf die Frage “warum tu ich mir das an?”. Diese Frage wirst du dir früher oder später an dem Sonntag, den 26. Juni 2022 in oder um Frankfurt zwangsläufig stellen!
Ich konnte diese Frage immer recht schnell und einfach für mich beantworten… “um zu Ende zu bringen, was ich begonnen habe!”
2019 hat mir der Ironman in Frankfurt ganz klar meine Grenzen aufgezeigt. Die meisten (die das hier lesen) wissen vermutlich, dass ich bei Kilometer 18 auf der Laufstrecke bei knappen 40 Grad Außentemperatur kollabiert bin und das Rennen an den Nagel hängen musste.
50% der gemeldeten Athleten sind entweder nicht gestartet oder haben nicht gefinisht… und trotzdem ist es 50% damals gelungen ins Ziel zu kommen. Warum mir nicht? Hätte ich langsamer laufen sollen? Anders verpflegen? Ein anderes Oberteil anziehen?
Diese Fragen schwirren mir seit 2019 durch den Kopf… immer und immer wieder! Ohne zu übertreiben sind seit diesem Tag nicht viele Trainingseinheiten vergangen, bei denen ich nicht an dieses DNF denken musste.
So durfte und konnte es nicht weitergehen… als die Corona-Pandemie wieder Rennen zugelassen und mein damit verbundenes Motivationsloch durchschritten hat, war klar: Ich kann mit diesem Rennen erst meinen Frieden schließen, wenn ich es nochmal finishen kann!

Mit dieser Motivation, dieser Mission und diesem Rucksack sind Carina und ich am Freitag Nachmittag also nach Frankfurt gereist.
Ich hatte dieses Jahr keine Mitteldistanz als Vorbereitung absolviert und trotzdem gingen die Vorbereitungen am Samstag schon ziemlich routiniert von der Hand! Rad einchecken, Laufwege in der Wechselzone einprägen, Reifen aufpumpen und dazwischen immer wieder den Wetterbericht checken. Klar kann man daran jetzt eh nichts mehr ändern, aber die angesagt Bewölkung am Nachmittag machte mir Mut, gab mir Sicherheit und Selbstvertrauen. Was mich dieses Jahr wirklich beschäftigte war die Angst vor einem technischen Defekt am Rad.
Das Rad war frisch aus dem Service, hatte hinten und vorne neue Mäntel und eine fast neue Kette. Ich hatte alles in meiner Macht stehende getan, um die Risiken eines technischen KO´s zu minimieren - und trotzdem schwirrten mir diese Horrorszenarien immer wieder im Kopf rum!
Ich war unglaublich froh, dass ich ständig jemanden bei mir hatte, der mich von diesem Kopfkino abgelenkte… Carina, die Supportermädels vom TTG-Team, die Teamkollegen und -kolleginnen von tri.P.coaching!

Sonntag 03:15 Uhr… eigentlich ganz ruhig und gelassen, fast andächtig bin ich in den Frühstückssaal von unserem Hotel geschlichen, hab mir zwei drei Scheiben Toast runtergewürgt, einen Kaffee nachgeschüttet, kurz mit den anderen geredet und bin dann wieder hoch in unser Zimmer.
Auf dem Weg zum Transferbus zum Langener Waldsee mischten wir uns unter das Partyvolk, das sich langsam auf den Heimweg machte… ich dachte mir “wer von uns beiden ist jetzt eigentlich der größere Freak” und “wer hat morgen eigentlich den härteren Tag?”... eine abschließende Antwort konnte ich nicht.
Nach der Anfahrt ging es nochmal in die Wechselzone, nochmal im Kopf alles durchgehen und die letzten Vorbereitungen treffen und dann raus zu Carina.
Der Start hat irgendwie seine ganz eigene Magie… da stehen wir alle, jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen, die ihn oder sie hier an die Startlinie gebracht hat, jeder will gesund ins Ziel kommen und keiner weiß, was in den nächsten 8 - 15 Stunden passieren wird. Wieder war ich froh, dass ich die anderen aus dem Team bei mir hatte und wir uns gemeinsam in den Startkanal für 01:05 eingeordnet haben.

In 4er Gruppen ging es ins Wasser und ich versuchte so wenig Stress wie möglich aufkommen zu lassen. Ich ging die ersten Meter und versuchte so langsam wie irgendwie möglich los zu schwimmen, was mir eher solala gelang. Das Feld war (logischerweise) schon sehr schnell unterwegs und um den Wasserschatten der Athleten vor mir nicht zu verlieren, musste ich doch immer mal wieder investieren. Nach 1,5 Kilometer zeigte meine Uhr 27:15 Minuten an… vermutlich nen Ticken zu schnell, aber es fühlte sich alles in allem eher locker an.
Jetzt zog sich das Feld merklich auseinander und ich musste ganz oft alleine schwimmen. Das hatte zwar den Vorteil, dass ich mein Tempo schwimmen konnte, aber auch den Nachteil, dass ich niemanden hatte, der mir Wasserschatten geboten hätte. Ohne großen Stress stieg ich nach 01:07:36 aus dem Wasser! Für mich ne absolut geniale Zeit!
Als ich gerade aus dem Wasser gestolpert bin, hörte ich neben mir einen kurzen Schrei. Der Typ neben mir hatte sich beim Schwimmausstieg an einer Muschel (oder Scherbe) den kompletten Fuß aufgeschnitten. Ich fragte kurz ob er Hilfe brauche auf dem Weg zum Sanizelt, aber er winkte ab und so trabte ich langsam Richtung Wechselzone.

Ich ließ mir sehr viel Zeit, um auch hier keinen Stress aufkommen zu lassen. Kurz nach mir sah ich den Neumi und den Winkl ins Wechselzelt laufen. Jetzt war mir klar, dass die Zeit richtig gut war… das sind beides in meinen Augen super talentierte Schwimmer!
Neumi half mir netterweise noch meinen Helm zu schließen (das hab ich, warum auch immer, nicht hinbekommen… DANKE dafür!)
Ich winkte nochmal der Support Crew beim Aufsteigen aufs Rad und dann gings mit Rückenwind Richtung Frankfurt. Wie die letzten Langdistanzen auch, nahm ich mir die ersten Kilometer Zeit, um in Ruhe meine Breze zu frühstücken. Schon da ist mir aufgefallen, dass etwas hinten an meinem Trikot ständig flattert. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass meine Startnummer an einem Loch gerissen war und jetzt nur noch an dem anderen Loch herumbaumelte. “Ist es schlimm, wenn ich die Startnummer verlier? Sollte ich stehenbleiben und ein neues Loch reinmachen?” Klingt jetzt ein bisschen lächerlich, aber diese Thematik beschäftigte mich bis Kilometer 30… dann entschloss ich mich, einen Wettkampfrichter auf dem Motorrad aufzuhalten und nachzufragen… “Keine Ahnung… fahr ins Penalty Zelt und frag dort.”
Also beim nächsten (zum Glück leeren) Penalty Zelt nachgefragt, ob sie mir mit ihrem Kugelschreiber ein neues Loch in die Startnummer stanzen können und nebenbei hab ich sie gleich gefragt, was denn die Konsequenz einer verlorenen Startnummer wäre. “Rote Karte… dann bist du raus.”
Ob das stimmt oder nicht weiß ich nicht, aber das hat mich wirklich schockiert, denn so richtig reißfest ist das Startnummernpapier ja nicht.
Egal… Thema erledigt und weiter gings.

Die erste von zwei Radrunden ging relativ gut, ich konnte meine angepeilten Wattwerte zwischen 160-175 Watt gut treten und auch meine Verpflegungsstrategie schien perfekt aufzugehen. Bei Kilometer 100 kam ich zurück nach Frankfurt, sah dort die ganzen Supporter und auch Carinas Family stehen und das Herz rutschte mir in die Hose. Ich war super super happy, dass sie da waren - aber was mach ich denn jetzt, wenn ich doch noch nen technischen Defekt hab? Sie waren extra 3,5 Stunden nach Frankfurt gefahren, nur um zu erfahren, dass meine Kette gerissen is und ich jetzt aussteigen musste? Ich musste diese Gedanken irgendwie wieder loswerden!
Das gelang mir dadurch, dass sich ein neues Problem ankündigte, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt des Rennens niemals gerechnet hätte.
Die Außenseite meines linken Knies fing an weh zu tun… ein stechender Schmerz, der mit jedem Tritt ein klein bisschen schlimmer wurde. Ich kenn den Schmerz gut! Es war genau der Schmerz, der mich beim Transalpinerun zum DNF gezwungen hatte und der mir auf der Laufstrecke der Challenge Roth die letzten 15 Kilometer zur Hölle gemacht hatte.
Ich weiß bis heute nicht genau was es is, aber ich weiß, dass es sich nicht durch Dehnen oder Beine ausschütteln beheben lässt.
Ich bin froh, dass ich bei Kilometer 110 mal kurz vom Rad steigen “darf” um meine “Special Needs” aufzunehmen. Aber auch bei den drei Schritten Gehen habe ich jetzt schon extreme Schmerzen!
Fuck!!
Ich fang an zu rechnen… wenn ich es schaff, vor 14:00 Uhr in der Wechselzone zu sein, habe ich 8 Stunden Zeit für den Marathon… den könnte ich fast gehen. Aber ich muss erstmal irgendwie in die Wechselzone kommen!
Mir ist aufgefallen, dass der Schmerz in der Aeroposition weit nicht so schlimm ist, wie wenn ich Oberlenker fahre. Bei den ganzen Gedankenspielen habe ich ganz vergessen (und ehrlich gesagt auch ein wenig die Disziplin verloren) meine Ernährungsstrategie durchzuziehen. “Wenn ich nachher eh 8 Stunden spazieren gehen muss, hab ich ja schließlich genug Zeit zum Verpflegen”, hab ich mir, fast ein bisschen trotzig, gedacht.

Wenn dich was beim Ironman nicht weiter bringt, dann ist es Trotz - und außerdem fielen mir die Worte von Ralf wieder ein “...du musst immer den Ball im Spiel halten”.
Auch wenn die Chance gering war, es bestand weiterhin eine minimale Chance, dass ich ja trotzdem irgendwie Laufen konnte und das Ziel “zu finishen” war ja auch noch nicht in Gefahr!
In den Bergaufpassagen nahm ich komplett den Druck weg und versuchte alles was irgendwie ging in Aero zu fahren. Das kostete mich zwar viel Zeit, aber klappte ganz gut! Endlich baute sich vor mir die Frankfurter Skyline auf und ich durfte in die Wechselzone abbiegen. Nach 5 Stunden und 52 Minuten stieg ich - heilfroh, dass die Schinderei vorbei war und ich ohne technischen Defekt durchgekommen war - vom Rad.

“Es ist 13:50 Uhr, ich hab also noch über 8 Stunden Zeit für den Marathon”, dachte ich mir, als ich meine Schuhe in der Wechselzone anzog.
Ich wusste, dass gleich nach dem Wechselzelt meine ganze Family auf mich wartete und wollte mir einfach nicht die Blöße geben, von Anfang an zu gehen. Ich zwang mir also ein Lächeln aufs Gesicht und humpelte Richtung erster Verpflegungsstation.
Ich kühle das Knie, versorge mich ein bisschen und merke: ich kann laufen, ohne dass der Schmerz viel schlimmer wird. In meinem Kopf spielten sich viele Szenarien ab… wie lange brauch, ich wenn ich immer einen Kilometer geh und einen lauf, is es besser so lange zu Laufen bis es gar nicht mehr geht oder sollte ich vorsichtshalber immer wieder Pausen einlegen?
Ich lief einfach los… ich war auf Schmerzen eingestellt und diese bin ich bereit zu ertragen, also beschleunigte ich auf meine ursprünglich geplante Marathonpace von 5:15 und lief los!
Es funktionierte… die Schmerzen stagnierten auf einem für mich aushaltbaren Niveau und ich hätte schon wieder heulen können… diesmal, weil ich wieder an einem Rennen teilnehmen durfte, das ich gedanklich schon fast abgeschrieben hatte!
Genau als ich mir das dachte, kündigte sich die nächste Challenge an. Ich hatte das Gefühl, der Ironman will mich heute unbedingt wieder fallen sehen!
Ich bekam plötzlich unfassbare Magen-Darm-Probleme, die mehrere Dixi-Aufenthalte unumgänglich machten… Details erspare ich euch jetzt!
Die Verpflegung wurde jetzt noch ein größeres Problem… jeder Iso, jede Cola, sogar jedes Wasser musste ich mir reinwürgen in der Hoffnung, dass es auch drinnen bleibt.

Ich näherte mich Kilometer 18… der Kilometer, bei dem mir 2019 die Lichter ausgegangen sind. Ich wusste, dass dies für mich ein extrem wichtiger Moment des Tages sein würde. Ab hier konnte ich zurückschlagen. Ab hier brachte mich jeder Schritt dem Traum vom Finish am Römer näher!
Genau hier traf lief ich von hinten auf den Herzog Flo auf! Flo ist mit mir durch viele Höhen und Tiefen in der Ironman Vorbereitung gegangen! Dass ich ihn genau hier getroffen hab, konnte kein Zufall sein!
Und dann stand auch noch kurz nach dem Baum, an dem ich mich 2019 ungefähr 2 Stunden übergeben hatte, ein Klappausteller von Ironman mit dem Spruch "Remember why you showed up!" Auch das konnte definitiv kein Zufall sein!
Ganz langsam fing mein Magen an sich zu beruhigen, was mir viel Ruhe und Souveränität zurück brachte. Ich war so unglaublich dankbar für den Support an der Strecke! Carina, meine Eltern, Carinas Eltern, Carinas Bruder Steff und seine Freundin Chrissi… alle waren da, um mich dabei zu unterstützen mir nochmal den Traum vom Langdistanz Finish zu erfüllen.

Auf der Dritten von Vier 10-Kilometer-Runden musste ich dann richtig kämpfen. Ich schleppte mich von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation, von Supportcrew zu Supportcrew, von Kilometer zu Kilometer. Ich lief auf den Neumüller Flo und den Dani auf. Beide absolvierten ihren ersten Ironman und beide hatten ebenfalls ne harte Zeit! Wir bemitleideten uns kurz und ich machte mich auf den Weg jetzt endgültig zu Ende zu bringen, was ich angefangen hatte.
Die letzte Runde bzw. die letzten 10 Kilometer waren eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich zwang mich dazu, keine Gehpausen zu machen, was mir immer schwerer fiel. Gleichzeitig näherte sich das Ziel und ich versuchte konzentriert zu bleiben. Mit Tränen in den Augen holte ich mir das Vierte “Rundenarmbändchen” und wusste: Jetzt muss ich nur noch einmal über die Brücke und dann sind es nur noch 500 Meter bis zum Römer!

Ich schleppte mich weiter und endlich sah ich vor mir den Abzweig hoch Richtung Römer. Ich bog ein und versuchte alle Hände abzuklatschen, die mir entgegengehalten wurden. Als ich dann meine Supporter auf der linken Seite im Zielkanal entdeckte, brach alles aus mir raus was sich die Stunden, Tage, Monate, vielleicht sogar Jahre aufgestaut hatte.
Diese ganzen Schmerzen, die Erleichterung, die Dankbarkeit… ALLES!
Noch jetzt (eine knappe Woche später) fällt es mir wahnsinnig schwer in Worte zu fassen was mir in diesen Momenten alles durch den Kopf gegangen is. Heulend fiel ich Carina und allen anderen nach und nach um den Hals und lief wie völlig berauscht, nach 11 Stunden und 16 Minuten, durch den Zielbogen!!
Ich hatte es also gepackt! Ich hatte die Rechnung beglichen! Frankfurt 1… Ich 2!!! Das Gefühl der Genugtuung hält bis heute an und endlich hören auch diese Gedankenspiele rum um das DNF 2019 auf! Ich bin meinem ganzen Umfeld, das mich auf dem - nicht immer einfachen - Weg zu dem Zielbogen am Römer begleitet hat, so wahnsinnig dankbar! DANKE euch allen für ALLES!!

Kommentar schreiben
Jupp (Mittwoch, 27 Juli 2022 16:10)
Mega Bericht, Mega Kampf, mega Leistung. Ich weiß was es heißt seine Dämonen zu besiegen...
Klasse Flo. Mach weiter so!
Winkl (Mittwoch, 27 Juli 2022 22:45)
Super Bericht Flo und vor allem super gekämpft ��� 2 zu 1 für dich gegen Frankfurt �