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Challenge Roth

Wenn es geht, vermeide ich gerne jeglichen Stress in der Woche vor meinen großen Wettkämpfen... dies war in der Woche vor Roth leider nicht möglich und so konnten sich weder mein Kopf, noch mein Körper so wirklich auf den Tag X vorbereiten.

 

Diesen Tag auf den ich mich das ganze Jahr vorbereitet hatte... für den ich so viel investiert hatte... der Tag der am Sonntag den ersten Juli um 03:45 Uhr für mich beginnen und erst um kurz vor 12 Uhr nachts enden sollte! 

Ich öffnete die Augen und war sofort wach, fit, konzentriert und fokussiert. Ich wusste genau, was zu tun war. Zog mein Rennoutfit an, brachte das vom Veranstalter geforderte Tattoo an meinen Oberarmen an, befestigte den Zeitnahme-Chip am linken Fußgelenk und begab mich zum Frühstück. Meine Eltern holten Carina und mich vom Hotel ab und wenig später standen wir auch schon am Schwimmstart. Wie immer vorm Wettkampf war die Verabschiedung von Carina und meinen Eltern recht emotional... die Sonne war gerade am Aufgehen, in der Wechselzone wuselte es gerade so vor Athleten, die Moderatoren sagten Anweisungen und Startzeiten durch und eine besondere, unwissende Spannung lag in der Luft.

 

In der Wechselzone pumpte ich meine Reifen auf, brachte die obligatorische „After-Schwimm-Breze“ am Aerolenker an und ging dann in den Startbereich.

07:00 Uhr... Kein Countdown... nur ein lauter Kanonenschuss läutete den für mich intensivsten und lehrreichsten Wettkämpfe in meinem bisherigen Sportleben ein.

Die Stimmung war während des ganzen Schwimmens absolut fantastisch. Bei jedem Atemzug sieht und vor allem hört man die am Kanalufer klatschenden Zuschauer. Recht genießen konnte ich den Moment leider trotzdem nicht. Zu sehr war ich mit mir und den neben mir schwimmenden Athleten beschäftigt. Ich fand keinen Anschluss, denn ich war entweder zu schnell oder zu langsam. Der lange Weg bis zur ersten Wende bestand also fast ausschließlich aus stressigen Überholmanövern. Erst nach 2 Kilometern hatte sich das Feld ein wenig beruhigt und ich konnte mich zum ersten Mal auf mich, meine Technik, mein Tempo und vor Allem mein Rennen konzentrieren.

 

Als mir dann ein Helfer der Wasserwacht beim Schwimmausstieg die Hand reichte und mich endlich aus dem Kanal zog, stand da trotzdem eine 01:08:54... damit kann ich definitiv leben!

 

Der Wechsel klappte dann, bis auf den Fakt, dass ich den Kinnriemen meines Helms gefühlte 2 Minuten nicht geschlossen bekam, recht reibungslos und voller Euphorie und Vorfreude ging es auf die Radstrecke. 

Rückenwind, gute Beine und eine tolle Stimmung an der Radstrecke sind eine mächtige Kombination und obwohl ich in dieser Phase extrem viel überholt wurde, versuchte ich, nicht zu viel zu investieren... um jeden Preis wollte ich die Fehler, die ich in Frankfurt gemacht hatte, vermeiden. Ich verpflegte mich nach Plan und fuhr strickt nach Watt- und Herzfreuqenzwerten. In Greding traf ich dann zum ersten Mal auf Flo und Alex, die sich bereit erklärt hatten, mir dort die Eigenverpflegung zu reichen... ihr seid der Hammer!!! Vielen Dank nochmal dafür!

 

Und dann... bei Kilometer 40... ja, der Kilometer 40, bei dem noch 140 Kilometer am Rad vor dir liegen... stellte ich plötzlich mit Erschrecken fest, dass ich schwere Beine bekam. Im Vorgespräch mit Ralf hatten wir über solche Tiefs gesprochen... dass diese beim Langdistanztriathlon zwangsläufig früher oder später kommen würden. Ich war also mental darauf vorbereitet. Ich hatte solche Tiefs zwar nicht zu einem so frühen Zeitpunkt im Rennen erwartet, aber das kann ich jetzt nicht ändern. Ich nahm ein wenig Druck raus, fuhr Oberlenker, nahm wegen der immer größer werdenden Salzrändern auf meinem Trikot Salztabletten und wurde nun gefühlt im 10-Sekunden-Takt überholt. 

 

Das Ortsschild von Hilpolstein tauchte vor mir auf und ich wusste was dies bedeutete... bevor ich ihn sah, hörte ich ihn bereits... Den Solarer Berg!! Mit Worten ist es schwer zu beschreiben, was in einem vor sich geht, wenn auf diese Masse an Leuten zufährt und sich dann dieser kleine Gang öffnet, durch den man nach oben getragen wird. Ich wurde so angefeuert, angebrüllt und motiviert, dass ich zu glauben begann, es würde mir das Trommelfell zerreißen. Hier standen auch meine Eltern und Carina, was mir nochmal zusätzlichen Schwung gab.

Danach ging es tendenziell bergab Richtung Roth und ich nutzte die Abfahrt, um mich zu erholen. 

In meinem Kopf arbeitete es wie verrückt... klar war mein Kopf bereit, diese Schwächephase anzunehmen... aber wie lange würde diese noch dauern?! „Nach jedem Tief kommt ein Hoch“ gingen mir immer wieder die Worte von Ralf durch den Kopf. Ich könnte jetzt ein Hoch gebrauchen. Ich dachte in dieser Phase oft an den nahezu perfekten Wettkampf im Kraichgau zurück. Wie ging das Lied? „Es wär zu schön um nicht an Wunder zu glauben“... im Kraichgau brauchte ich kein Wunder... aber heute brauchte ich eins!

 

Wie ein angeschossenes Reh schleppte ich mich über die zweite Radrunde, stemmte mich mit letzter Kraft gegen den teils schon sehr kräftigen Gegenwind und irgendwann durfte ich dann endlich Richtung Wechselzone 2 abbiegen. Und dann schoss mir unaufhaltbar der Gedanke, den ich so lange mit Gewalt versuchte hatte zu unterdrücken, in den Kopf... „is es denn so schlimm, wenn ich aussteige?“... „vielleicht soll es heute einfach nicht sein?“

 

Wie in Zeitlupe stieg ich nach 05:39:39 vom Rad und schlenderte durch die Wechselzone Richtung Wechselzelt. 

Der Gedanke, jetzt, vor meiner Lieblingsdisziplin, auszusteigen, war, aus jetziger Sicht, natürlich unfassbar dumm... aber zu dem Zeitpunkt so unglaublich verlockend. Die Dame im Wechselzelt leerte meinen Wechselbeutel aus und war gerade dabei mich mit Sonnencreme einzuschmieren, als ich sagte „nicht zu viel Aufwand betreiben... ehrlich gesagt weiß ich noch nicht ob ich rauslaufe!“. Die Frage von ihr, ob ich mich verletzt hatte, musste ich dann verneinen und auf die Frage „warum willst du dann aufhören?“ konnte ich nur mit „ich fühl mich scheiße“ antworten. Lachend beendete sie die Diskussion mit „glaubst du den anderen geht’s besser?“ und ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie mir das Cap auf, reichte mir meine Sonnenbrille und scheuchte mich mit „jetzt schau dassd weiter kommst“ aus der Wechselzone. 

 

Ich versuchte die ersten Schritte zu Laufen und es fühlte sich fantastisch an. Direkt am Ausgang der Wechselzone warteten Carina, ihre und meine Eltern und ihr Bruder. Sie brachten das Lächeln zurück auf mein Gesicht und ich war wieder im Spiel... von einem Moment zum anderen war ich mir sicher, dass ich das Ding ins Ziel bringen kann!!

 

Um jeden Preis wollte ich vermeiden, dass ich den Marathon, wie in Frankfurt zu schnell angehe und so musste ich mich immer wieder bremsen. Ich nahm mir die Zeit und ging bei jeder Verpflegungsstation. Cola, Iso, Salzkekse, Brühe und bei jeder zweiten Verpflegungsstation Salztabletten. Fast dilettantisch zog ich dieses Programm durch. Jetzt holte ich mir nach und nach die am Rad verlorenen Plätze zurück. 

Jetzt war der Fahrplan klar - ich würde den 5er Schnitt so lange halten wie möglich, und auch wenn ich langsamer werden würde, wollte ich mich zwingen, nicht zu gehen.

 

Ich war jetzt wieder bereit, Schmerzen zu ertragen... ich war bereit, alles in meiner Macht stehende zu tun, um das Ding mit Anstand und erhobenen Hauptes über die Bühne zu bringen... ich hatte wieder Spaß an dem Wettkampf!

 

Im Minutentakt sah ich auf die Uhr in panischer Angst, ich würde doch wieder überpacen und mir so den zweiten Halbmarathon zum Wandertag machen. Ich überholte, verpflegte mich, traf viele bekannte Gesichter an und neben der Strecke und genoss es. „Flo, du schaust klasse aus“... heute hatte ich das Gefühl, dass es keine Lüge war!

 

Als ich den ersten Halbmarathon also mit 01:46 hinter mich gebracht hatte, traute ich mich zum ersten mal, ne potentielle Zielzeit zu errechnen. Wenn ich den zweiten HM unter 02:15 laufen könnte, bleib ich immer noch unter der 11-Stunden-Marke!

 

Vom Kanal ging es zurück nach Roth, wo ich noch einmal meine Supportcrew traf. Langsam... ganz langsam machte sich allerdings ein alt bekannter Schmerz meinem linken Knie bemerkbar. Es war das gleiche Knie mit dem gleichen Stechen im Außenmeniskus, dass mich beim Transalpine Run zum Ausstieg gezwungen hatte. 

Anfangs konnte ich den Schmerz gut ignorieren, aber er wurde langsam immer schlimmer und das Anlaufen nach den Verpflegungsgehpausen fiel mir immer schwerer. Erst bei KM 30 wurden die Beine dann richtig schwer... nachdem ich die Stimmung in Roth nochmal aufgesaugt hatte, ging es jetzt bergauf Richtung Büchenbach. 

Lauf so langsam du willst, aber LAUF! 

Ich merkte, dass selbst mein langsamstes Lauftempo nicht unter einem 6er Schnitt war... ich kämpfte mich von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation... mittlerweile fühlte es sich an, als würde mir jedes Mal jemand ein Messer ins linke Knie rammen, wenn ich versuchte wieder anzulaufen.

 

Ich schleppte mich zurück nach Roth und bereits von Weitem hörte ich den Lärm aus dem Zielbereich. Und schon hatte ich den ersehnten roten Teppich unter den Füßen und lief durch das Banner mit dem Schriftzug „Welcome to the home of Triathlon“ in die Zielarena. Dort standen sie dann alle: Carina, ihr Eltern, meine Eltern, ihr Bruder... Wieder hatte ich Pipi in den Augen, als ich ihnen in die Arme fiel, um dann Richtung Zielbogen zu humpeln. 

10:41:54 zeigte die Anzeige über meinem Kopf an, als mir die Finishermedaille umgehängt wurde. 

 

Ich könnte nicht zufriedener mit meiner Leistung sein... nicht, weil die Einzelzeiten oder die Gesamtzeit so wahnsinnig toll wären (trotzdem immerhin fast eine halbe Stunde schneller als in Frankfurt), sondern weil ich es einfach durchgezogen habe. Weil ich nicht aufgegeben habe... weil ich die Schwächephasen zugelassen und die Stärkephasen ausgenutzt habe... weil mir der Wettkampf so viel über mich, meinen Körper und meinen Kopf beigebracht hat.

 

ROTH... du warst der Hammer!! :-)

 

Jetzt hier noch alle aufzuführen, denen ich zu danken habe, würde den eh schon gesprengten Rahmen noch mehr sprengen... aber das hole ich nach :-)

Ich hol mir jetzt erstmal noch einen Cocktail und genieß unseren Urlaub auf Bali.

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